Digital Empowerment: Lernen in geschütztem Raum

Seit fünf Jahren bieten wir geflüchteten Frauen mit dem Projekt DIGITAL EMPOWERMENT eine Weiterbildung, bei der sie selbst entscheiden können, was und wann sie lernen möchten. Bei diesem offenen Trainingskonzept geht es darum, dass die Teilnehmerinnen sowohl die deutsche Sprache als auch den Umgang mit dem Computer lernen. Inhalte werden meist von den Trainerinnen vorgeschlagen, doch häufig ergeben sich die Themen aus dem Alltag der Frauen.

Geflüchtete Frauen können in der Weiterbildung DIGITAL EMPOWERMENT in wertschätzender Atmosphäre lernen und sich austauschen. (Symbolbild) Foto: John Price / Unsplash
Geflüchtete Frauen können in wertschätzender Atmosphäre lernen und sich austauschen. (Symbolbild) Foto: John Price / Unsplash

Elisa Marchese leitet das Projekt DIGITAL EMPOWERMENT und zieht zum Jahresende 2021 eine sehr positive Bilanz: „Bei jedem Treffen passiert eine wahnsinnige Stärkung der Frauen. Sie erweitern ihre Medienkompetenz und werden dadurch auch wirklich empowert. Das ist unser Ziel und unser Anspruch. Bei uns gibt es keine hierarchischen Beziehungen zwischen der „allwissenden Lehrerin“ vorne und der „dummen Schülerin“ auf der anderen Seite, sondern wir verstehen uns als Begleiterinnen. Wir haben so ein tolles Team. Alle Kolleginnen bringen ihre eigenen Stärken ein, so dass die Teilnehmerinnen auch davon profitieren können. Wir haben eine sehr technikaffine Kollegin, die Stärke einer anderen Kollegin ist ihre Sozialkompetenz, eine dritte kann prima unterstützen, wenn es um sozialarbeiterische Fragen geht.“

Doch es gehe auch immer um die persönlichen Erfahrungen der Frauen. „Es ist uns gelungen, die Frauen, so ganz unterschiedlich, wo sie jeweils stehen, gut abzuholen. Es ist vor dem Hintergrund, was die Frauen teilweise so erlebt haben, wirklich immer eine sehr angenehme und schöne Stimmung. Die Frauen berichten auch, dass sie bei uns Freundinnen treffen bzw. kennenlernen und sich mit anderen austauschen können. In diesem wohlwollenden, geschützten Frauenraum haben wir sehr viel Spaß beim Lernen.“

Das finden auch die Teilnehmerinnen:

„Wir sprechen viel auf Deutsch. Das ist auch für mich wichtig. Ich bin sehr zufrieden, Ich werde besser am Computer.“ (Fatima*)

Individuelle Wünsche

Am Modellprojekt DIGITAL EMPOWERMENT nehmen geflüchtete Frauen unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen Ländern teil. (Symbolbild) Foto: Ashwin Vaswani / Unsplash
Am Modellprojekt DIGITAL EMPOWERMENT nehmen geflüchtete Frauen unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen Ländern teil. (Symbolbild) Foto: Ashwin Vaswani / Unsplash

Rebecca Kunsch ist Trainerin bei DIGITAL EMPOWERMENT. Für sie ist die Weiterbildung sowohl Sprach- als auch Computerkurs. „Wir legen mehr den Fokus aufs Sprechen und nicht so sehr aufs Schreiben. Das heißt, die Frauen kommen im Kurs sicherlich in die Lage, deutsch zu sprechen und über diese Hemmschwelle zu gehen.“

An der Weiterbildung können alle Frauen teilnehmen, auch Anfängerinnen, die weder Deutsch können noch Computerkenntnisse haben. „Andererseits haben wir auch Teilnehmerinnen gehabt, die sich vor ein paar Jahren in ihren Heimatländern Computerkenntnisse angeeignet haben und etwas fortgeschrittener sind als andere. Da können wir als Trainerin auch auf individuelle Wünsche eingehen. Wenn wir merken, da ist eine Frau, die schon sehr viele Kenntnisse hat, bekommt sie andere Aufgaben oder kann weitere Programme kennenlernen.“

„Für mich ist sehr, sehr gut mit online. Wir machen viele Aufgaben bei E-Mail, bei PDF. Lehrerin fragt immer, was wir möchten. Für mich alle Lehrerinnen sehr, sehr nett. Sehr ruhig, nicht Stress und Nervosität.“ (Rokan*)

Die Gründe, warum die Frauen an DigEm teilnehmen, seien sehr unterschiedlich, sagt Rebecca: „Es gibt junge Frauen, die eine Ausbildung machen wollen oder sich in einer Ausbildung befinden und sich Computerkenntnisse aneignen wollen. Dann gibt es aber auch ältere Frauen, die auch einfach nur interessiert sind, ohne sich das für den Beruf aneignen wollen.“

Die Inhalte der Treffen schwanken von Gruppe zu Gruppe, oft auch von Termin zu Termin. Elisa Marchese: „Wir hatten zum Beispiel plötzlich das Thema, dass eine Teilnehmerin zum ersten Mal eine eigene Wohnung bezogen hat. Also haben wir das Thema aufgegriffen. Wie findet man im Internet einen guten und günstigen Stromanbieter? Und dadurch, dass die Gruppenzusammensetzung sich auch bei jedem Mal so ein bisschen ändern kann, kann auch das Thema sich manchmal ändern. Dadurch kann es auch sein, dass wir manche Sachen mehrmals wiederholen.“

„Ja, ich wünsche bei diesem Projekt bleiben oder wiederkommen, das ist ein guter Weg. Ich bin alleine Mutter. Ich habe viel schwierige Zeit, und nun ist ein Frauenprojekt, das gefällt mir. Ich denke, dass die Sache von Frauen gut organisiert.“ (Aydiz*)

Vielfältige Unterstützung

Weil die Teilnehmerinnen von DIGITAL EMPOWERMENT unterschiedliches Know-how haben, können sie sich bei vielen Themen unterstützen (Symbolbild) Foto: Luwadlin Bosman/ Unsplash
Weil die Teilnehmerinnen von DIGITAL EMPOWERMENT unterschiedliches Know-how haben, können sie sich bei vielen Themen unterstützen (Symbolbild) Foto: Luwadlin Bosman/ Unsplash

Auch Ruth Warkentin ist Trainerin bei DigEm: „Am allerbesten finde ich diese Individualität, dass man wirklich auf die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmerinnen eingehen kann. Das finde ich sehr klasse, dass wir da so frei sein können.“

Sie hat festgestellt, dass die meisten Frauen am liebsten einen Text schreiben. „Das scheint der Indikator schlechthin zu sein, dass man einen Computer beherrscht. Aber das kann natürlich nicht alles sein.“

Anderen Frauen sei es wichtig, aus ihrer Wohnung herauszukommen und neue Freundschaften zu bilden, einen Raum für Frauen zu finden und sich dort mit anderen Frauen auszutauschen.

„Das ist toll, dass es Empowerment von Frauen gibt. Die Frauen können sich kennenlernen, und es gibt viele Informationen für die Frauen. Für Frauen ist es sehr gute Sache.“ (Leyla*)

Sabine Matthies hat 2021 zum ersten Mal eine Lerngruppe bei DigEm betreut. Dabei hat ihr besonders gefallen, dass die Teilnehmerinnen im Laufe der Zeit zu einer richtigen Gruppe zusammengewachsen sind. „Sie tauschen sich sehr viel aus, unterstützen sich und freuen sich, sich jede Woche wiederzusehen und zu fragen, was so los ist und wie es ihnen geht.

Genau diese Gruppendynamik hat mir sehr gut gefallen und auch genau die Unterstützung gegenseitig unter den Teilnehmerinnen. Also sowohl sprachlich, wenn es eine Teilnehmerin gab, die etwas nicht so gut verstanden hat. Dann übersetzt eine andere Teilnehmerin oder die Frauen zeigen sich gegenseitig etwas, wenn einer der Frauen schon weiter ist als die andere. Sie haben einen Raum geschaffen, in dem ganz viel gefragt wird. Und sie bringen eigene Themen ein.“

Deutsch lernen mit Spaß

Die Frauen kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern und haben doch eins gemeinsam: Bei DIGITAL EMPOWERMENT wollen sie Deutsch lernen und sich eine Perspektive in ihrer neuen Heimat aufbauen. (Symbolbild) Foto: Element5 Digital / Unsplash
Die Frauen kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern und haben doch eins gemeinsam: Bei DIGITAL EMPOWERMENT wollen sie Deutsch lernen und sich eine Perspektive in ihrer neuen Heimat aufbauen. (Symbolbild) Foto: Element5 Digital / Unsplash

Deutsch sprechen und Deutsch verstehen ist die größte Motivation der Frauen. Auch wenn es oft schwierig war, blieben sie bis zum Schluss sehr motiviert. Doch gerade per Smartphone war die Sprachbarriere hoch und hat die Situation kompliziert. Nachdem die Frauen ein Leihlaptop bekommen hatten, lag der Fokus dann auf der Arbeit am und mit dem Computer.

„Ich wünsche mir, dass ich mehr lerne in diesem Computerkurs ... Dann kann ich auch anderen Frauen helfen. Ich möchte mich bei BOM (berufliche Orientierung für Migrantinnen, Anm. d. Red.) anmelden und nächstes Jahr weitermachen.“ (Leyla*)

Obwohl so viele unterschiedliche Frauen mit unterschiedlichen Kenntnissen in einer Gruppe zusammenlernen, funktioniert das gut. Das hat natürlich mit den Trainerinnen zu tun, die auf individuelle Wünsche eingehen wollen. Doch immer wieder unterstützten sich die Teilnehmerinnen gegenseitig, sowohl sprachlich als auch bei Computerfragen.

Lernen geht immer: Präsenz, online, hybrid

Wie gut, dass es so viele Möglichkeiten gibt zu lernen: Mit dem Smartphone oder am Rechner, zu Hause, im FCZB oder von unterwegs, allein oder in der Gruppe (Symbolbild) Foto: Angela Franklin / Unsplash
Wie gut, dass es so viele Möglichkeiten gibt zu lernen: Mit dem Smartphone oder am Rechner, zu Hause, im FCZB oder von unterwegs, allein oder in der Gruppe (Symbolbild) Foto: Angela Franklin / Unsplash

Pandemiebedingt fand die Weiterbildung in der ersten Jahreshälfte zum großen Teil online statt. Rebecca Kunsch: „Für viele Frauen war es eine interessante Erfahrung, dass sie über ihr Smartphone teilnehmen konnten und nicht unbedingt ein Laptop oder Computer brauchten.“

Für Ruth Warkentin ist die Kompetenz der Teilnehmenden der größte Unterschied zwischen Online und Präsenzlernen. „Für manche Frauen, die wirklich sehr schwer schreiben und lesen oder ganz schlecht Deutsch können, funktioniert online leider überhaupt nicht. Da kann man sehr wenig machen. Das heißt, das Bildungsniveau der Frauen, die in Präsenz da sind, ist niedriger. Und das macht natürlich mehr Spaß, mit denen zu arbeiten.“

Andererseits ermögliche Onlineunterricht den Frauen, dass sie von zu Hause oder von der Unterkunft aus teilnehmen können, auch in Zeiten des Lockdowns. Allerdings sei es schwierig, Grundlagen online zu vermitteln, wenn die Frauen kein Laptop oder keinen Rechner haben.

„Es ist sehr gut, aber es ist nur einmal in der Woche. Da braucht man ein bisschen Zeit. Ich hatte ein bisschen Sprachprobleme. Mit online komme ich nicht klar, ich bin meistens hier (im FCZB, Anm. d. Red.). Für mich ist es leichter, wenn ich in Präsenz bin.“ (Aydiz)

Sabine Matthies: „Ich finde, dass man im Präsenzunterricht einen ganz anderen Zugang zu den Teilnehmerinnen aufbauen kann. Man kriegt ja viel mehr mit von Mimik und Gestik. Wenn die Person vor mir ist, kann ich auch viel mehr wahrnehmen. Wenn doch noch Fragen im Raum sind, die vielleicht aber nicht verbalisiert werden, kann ich auch einfach individuell auf die Frauen eingehen.

Das Wunderbare an Präsenz ist, dass sich ein ganz anderes Gemeinschaftsgefühl ergibt. Man verbringt die Pause zusammen, tauscht sich untereinander aus, vernetzt sich. Es gibt viel eher die Möglichkeit, sich auch mal über andere Sachen zu unterhalten.“

Elisa Marchese ist zuversichtlich, dass beide Lernmöglichkeiten, in Präsenz und online, ihre Berechtigung haben. „DIGITAL EMPOWERMENT läuft auch in 2022 weiter. Wir werden das Angebot stetig weiterentwickeln und gut mit den Herausforderungen und Unplanbarkeiten der Pandemie umgehen.“

* Name geändert

Mehr Informationen

Weiterbildungsseite Digital Empowerment

Projektseite Digital Empowerment

 


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Das Projekt DIGITAL EMPOWERMENT AND INFORMATION ACCESS FOR REFUGEE WOMEN wird gefördert aus Mitteln der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Abteilung Frauen und Gleichstellung.