Die neue Normalität in Digital Empowerment: Kursstart ins 2. Halbjahr

Nach den Sommerferien starteten die neuen Lerngruppen unseres Computer- und Deutschtrainings für geflüchtete Frauen im Projekt DIGITAL EMPOWERMENT – Medienkompetenzen für geflüchtete Frauen. Dass es dabei in den Unterkünften und im FCZB wuselig wird: Wissen wir. Dass der Bedarf groß ist: Ebenfalls bekannt. Wie das unter Corona zusammen gehen kann: Ein Experiment. Ein Beitrag von Sarah Rüger und Duscha Rosen.

Neben dem offenen Angebot im FCZB bietet das Projekt DIGITAL EMPOWERMENT Computerkurse in wechselnden  Gemeinschaftsunterkünften. Dieses Mal geht es in den Berliner Süden nach Marienfelde – an einen historischen Ort: In dem früheren „Notaufnahmelage“ für Ostberliner*innen, die aus der DDR in den Westen flohen, leben seit 2010 Geflüchtete.

Große Lernfreude – Auftakt in der Unterkunft Marienfelder Allee

Im Innenhof der großen Unterkunft in der Marienfelder Allee warten schon 20 Frauen im Schatten der Bäume auf das FCZB-Team, um sich endlich für den Computerkurs vor Ort anzumelden. An einem von den Betreibern aufgebauten Marktstand stehen kühle Getränke bereit, die Bewohnerinnen sitzen – mit Abstand – auf Bänken im Halbkreis um den Stand. Schon bei der Vorstellung des Kurses und der Inhalte gibt es viele Fragen. Die Übersetzerinnen haben beide Hände voll zu tun und wir diskutieren die Frage, ob es auch das Sprachniveau A gibt.

Als frau sich dann endlich anmelden kann, gibt es kein Halten mehr und es entsteht eine große Traube um den Stand. Schwestern, große Töchter und Freundinnen werden gleich mitangemeldet und in Kürze sind fast alle Plätze voll: 28 Frauen wollen teilnehmen.

Ein paar aufmerksame Frauen versorgen das FCZB-Team mit kühler Wassermelone, wow! Wir sagen Schukkran und merci und freuen uns auf die Zeit in der Marienfelder Allee.

Neben dem Internationalen Bund, dem Betreiber der Unterkunft, kooperieren wir für den Computerkurs auch mit dem Verein Refugees Emancipation. Der betreibt vor Ort in vier Räumen ein selbstorgansiertes Internetcafé. Die Unterkunft stellt die Räume und der Verein kümmert sich um die Technik, das Internet und die Betreuung vor Ort. Bisher nutzen die Bewohnerinnen das Angebot kaum. Mit dem Digital Empowerment Kurs des FCZB sollen die Frauen angeregt werden, das Internetcafé für sich zu nutzen.

Computer-Training unter Corona: Lernen in Kleinstgruppen

Frau von hinten am Computer, Digital Empowerment Training für geflüchtete Frauen in einer Unterkunft

In die kleinen Räume des Vereins passen zu Corona-Zeiten nur Kleinstgruppen von 1-2 Teilnehmer*innen und die Trainerin. Damit möglichst viele Frauen teilnehmen können und wir damit wir die vom Senat trotz Corona verlangten Teilnehmerinnenzahlen erreichen, findet der Kurs in vier Räumen parallel und in drei Schichten à 2h statt. Jeder Raum wird von einer Projektmitarbeiterin begleitet. Neugier und Lernfreude der Frauen begeistern das Team, und erleichtern die Arbeit auch unter erschwerten Bedingungen. Die Frauen lernen an Anfang an mit dem Videokonferenz-Tool BigBlueButton zu arbeiten. Im Falle eines 2. Lockdowns oder eines Corona-Falls in der Unterkunft, können sie dann selbstständig die Räume nutzen und weiter am Kurs teilnehmen.

Auch im FCZB setzen wir Digital Empowerment verändert um: Es finden doppelt so viele Kurse statt – anstatt drei gibt es zum Auftakt nach den Sommerferien sechs feste Lerngruppen à 1,5h (anstatt 3h). Maximal acht Frauen nehmen an einem Kurs teil. Für die Trainerin am Freitag bedeutet das konkret: 6h Training mit vier verschiedenen Gruppen. Ein wahrer Marathon!

Durch Corona ist die Nachfrage an Medienkompetenz-Trainings deutlich gestiegen und die Frauen haben dringende Lernanliegen: Wie buche ich einen Termin beim Bürgeramt oder ein Zugticket online? Wie schicke ich mit den Kindern bearbeitete Hausaufgaben an die Lehrer*innen? Wo kann ich im Netz meine Deutschkenntnisse verbessern?

Die Defizite der Digitalisierung – fehlender Zugang für Geflüchtete

Insbesondere für die vielen Frauen, die noch in Gemeinschafts- oder Erstaufnahmeeinrichtungen leben müssen, ist der Zugang zum Internet und zu Computern oder Laptops noch wichtiger geworden, real aber nur sehr eingeschränkt vorhanden. Nur wenige Unterkünfte stellen diesen Zugang annähernd in ausreichender Form zur Verfügung – das Land verpflichtet sie leider auch kaum dazu. Unter Corona bedeutet das, auch in Unterkünften wie der Marienfelder Allee, wo es immerhin ein Internet-Cafe gibt, fehlen Rechner und die Frauen sind noch mehr von der Außenwelt abgeschnitten als ohnehin. Nicht alle Frauen, die wollen, bekommen einen Rechnerplatz, so improvisieren und ermöglichen wir auch Teilnahme und Lernen via Smartphone – soweit es eben geht. Hierbei gibt es viele thematische und funktionelle Beschränkungen und das Arbeiten mit Materialien auf der FCZB-Lernplattform fällt weg.

Blick einer Frau am PC-Monitor, Foto aus dem Kurs Digital EMpowerment, Foto: Steffi Rose

Der kleine Pool an Leihgeräten für Teilnehmerinnen unserer Fortbildungen, denen es an technischer Ausstattung fehlt, um an den Kursen teilzunehmen, reicht bei weitem nicht aus, um in Pandemie-Zeiten den neuen Bedarf zu decken. Angemessen wäre, im Sinne einer demokratischen Digitalisierung, es gäbe einen Digitalpakt von Bund und Ländern, der auch für diesen Bereich der (Weiter-)Bildung und zur Sicherung der digitalen Teilhabe besonders benachteiligter Gruppen (wie geflüchtete Menschen) Lösungen und Investitionsmittel bereitstellen könnte – soweit wir wissen, ist das nicht angedacht.

An Grenzen stoßen wir unter Corona auch mit dem, was die Kolleginnen im Team DIGITAL EMPOWERMENT leisten, um möglichst vielen geflüchteten Frauen Gelegenheit zur Teilnahme an den Lernangeboten zu bieten. Die Arbeit unter Corona mit doppelt so vielen Lerngruppen bei den gleichen Personalressourcen wie vorher ist auf Dauer ein heftiges Pensum. Nicht immer ist es dabei möglich, dem eigenen Anspruch auf qualitatives Training und eine individuelle Lernbegleitung gerecht zu werden. Es ist ein echtes Dilemma: Einerseits wollen wir möglichst vielen lernbegierigen Frauen die Gelegenheit zur Teilnahme an dem Kurs bieten, ist er doch für viele ein wichtiger Schritt im eigenen Empowerment. Andererseits fallen bei den neuen kürzeren Kurszeiten Frauen mit einem langsameren Lerntempo, längere Übungsphasen und auch die Zeit für den empowerenden Austausch unter den Teilnehmerinnen hinten runter. So eine Wahl darf es die nächsten Monate nicht geben müssen, hier werden deutlich mehr Ressourcen gebraucht.

Es wird noch etwas dauern, bis wir in der neuen Normalität komplett angekommen sind. Trotz suboptimaler Bedingungen haben wir gemeinsam mit den Teilnehmerinnen gangbare Alternativen zum klassischen Präsenzunterricht entwickelt. Auch wenn der Weg zum Teil holprig und erschöpfend war – die Lernkurve war steil.

Damit es für die geflüchteten Frauen und andere stark von gesellschaftlicher Partizipation ausgeschlossener Gruppen auch digital bergauf geht, sind jetzt Politik und Geldgeber*innen gefragt, entsprechende Voraussetzungen durch Verbesserung des Zugangs zu digitalen Technologien und Know-how-Erwerb zu schaffen – auf Landes- und auf Bundesebene.