Lernen im Wartezustand. Digital Empowerment: Fachtagung im FCZB

Am 22.03.2019 trafen sich über 70 Interessierte zur Fachtagung „Integration von geflüchteten Frauen in einer digitalisierten Gesellschaft: Erfolge, Herausforderungen, Hindernisse und blinde Flecken“ im FCZB.

Fachtagung Digital Empowerment Publikum, Foto: Lenza Severin (FCZB)
Fachtagung Digital Empowerment, Publikum. Foto: Lenza Severin (FCZB)

Wie steht es heute um die (berufliche) Integration von geflüchteten Frauen in Berlin? Mit welchen Herausforderungen sehen sie sich konfrontiert, welche Hindernisse stehen ihnen im Weg? Welche Rolle spielen dabei digitale Kompetenzen?

Zahlreiche Expert*innen tauschten sich über diese Fragen aus und identifizierten Handlungsbedarfe – Expert*innen, die teils selbst Fluchterfahrung haben, teils aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung, aus Bildung und Forschung, aus Unterkünften, Beratungsprojekten oder Initiativen kommen.

Anlass der Tagung war das 2016 ins Leben gerufene Modellprojekt „Digital Empowerment – Medienkompetenzen für geflüchtete Frauen“ des FCZB. In den letzten drei Jahren haben über 430 geflüchtete Frauen aus 34 Ländern in dem Projekt ihre Medienkompetenzen erweitert.

Im „Dazwischen“

Fachtagung Digital Empowerment FCZB I. Chienku, Foto: Kerstin Dankwerth
I. Chienku (Refugees Emancipation). Foto: Kerstin Dankwerth (FCZB)

Zum Auftakt beschrieb Imma Chienku von Refugees Emancipation e.V. den Zustand, in dem sich die neu in Deutschland Ankommenden befinden, als ein „Dazwischen“: Ihren Herkunftsort haben sie verlassen, gleichzeitig sind sie noch nicht wirklich angekommen. Chienku plädierte dafür, diese Zeit nicht per se als krisenhaft zu begreifen. Sie biete die Möglichkeit, persönliche Potenziale und Kompetenzen zu erkennen, die unabdingbar sind für ein gelingendes (berufliches) Ankommen. Dabei ist es gerade für geflüchtete Frauen entscheidend, während des Ankommensprozesses Selbstvertrauen zu entwickeln.

Warten, warten, warten

Einigkeit bestand hinsichtlich der Tatsache, dass die langen Wartezeiten, denen Geflüchtete ausgesetzt sind, ein großes Problem darstellen. Ob auf den ersten Deutschkurs oder auf ein Orientierungspraktikum, auf die Erlaubnis, eine Ausbildung beginnen oder einen Arbeitsplatz suchen zu dürfen – das Warten scheint allgegenwärtig.

Sherin Cheikhmous (ehem. Teilnehmerin), M. Heger (Personalleiterin Gewobag) Karin Reichel (Geschäftsführerin FCZB)
S. Cheikhmous (ehem. Teilnehmerin), M. Heger (Personalleiterin Gewobag), Karin Reichel (Geschäftsführerin FCZB). Foto: Kerstin Dankwerth (FCZB)

So zermürbend das für Einzelne ist, so fahrlässig sei es auch in ökonomischer Hinsicht, teils gut qualifizierte Geflüchtete in den Wartezustand zu versetzen, statt ihnen eine möglichst rasche berufliche Integration zu ermöglichen, so Martina Heger (Personalleitung Gewobag).
Hier knüpft das Land Berlin, vertreten durch Barbara König (Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung) an. Berlin ermöglicht Spracherwerb von Anfang an, während die Teilnahme an den auf Bundesebene geregelten Integrationskursen an die Bleibeaussichten der Teilnehmenden gebunden ist. Dennoch besteht weiterer Bedarf nach einer quantitativen und qualitativen Verstärkung der Angebote für Geflüchtete. Sean Corleone (Standortleitung der GU Ostpreußendamm/milaa gGmbH) hob das norwegische System hervor: Hier erhalten Geflüchtete ab dem ersten Tag Zugang nicht nur zu Sprachkursen, sondern auch zu ehrenamtlicher Arbeit und Praktika. Ein positives Beispiel, denn das Ankommen braucht Zeit – aber keine unproduktiven Wartezeiten.

„Die Frauen können so hierher kommen, wie sie sind“

 Fachtagung Digital Empowerment S. Rüger, Foto: Lenza Severin (FCZB)
S. Rüger (Projektleiterin Digital Empowerment). Foto: Lenza Severin (FCZB)

An diesem Punkt setzt „Digital Empowerment“ an. Unabhängig von persönlicher Situation, Herkunftsland, Vorbildung und Aufenthaltsstatus stellt das Angebot für viele Frauen eine erste Anlaufstelle dar. Lernanlässe bietet das Leben der Teilnehmerinnen selbst, etwa wenn die Frage auftaucht: „Wie kann ich den Kita-Gutschein einlösen?“, oder „Wie finde ich einen arabischsprachigen Arzt?“.

Wenn Medienkompetenz mit Deutschunterricht und Online-Training mit Exkursionen zu Beratungsstellen verbunden wird, dann steht das Lernen in engem Bezug zur Situation der Teilnehmerinnen. Digitale Kompetenzen sind zudem Bedingung für die Arbeitssuche in Deutschland, so die Wissenschaftlerinnen Dr. Violeta Trkulja und Dr. Juliane Stiller. Beide stellten heraus, wie schwierig es ist, in der Zweitsprache Internetsuchen durchzuführen und die Ergebnisse einzuordnen und zu bewerten. Lernen sie jedoch genau das, werden die Teilnehmerinnen selbstständiger – und entwickeln Selbstvertrauen.

Starke Frauen

Fragestellerin aus dem Publikum, im Hintergrund André Hansccke (Agentur für Arbeit). Foto: Kerstin Dankwerth (FCZB)
Fragestellerin aus dem Publikum, im Hintergrund A. Hanschke (Agentur für Arbeit). Foto: Kerstin Dankwerth (FCZB)

Genau das leistet das Angebot des FCZB: „Die Gruppe ist meine Familie“, beteuerte die ehemalige Teilnehmerin Sherin Cheikhmous, und: „Ich habe großen Willen, es zu schaffen“.

Die selbstbewusste Aussage untermauert die Position anderer Expert*innen, die sich gegen eine Viktimisierung der Frauen aussprechen: „Die Frauen sind stark“ und „Sie sind hungrig“ – nach Bildung. Einige Teilnehmerinnen von „Digital Empowerment“ schafften den Sprung in Praktika und Ausbildung, andere besuchen weiterführende Deutschkurse, studieren, wenige haben einen Job gefunden. Bis heute ist die Nachfrage nach „Digital Empowerment“ ungebrochen.

Handlungsbedarfe

Fachtagung Digital Empowerment, S. Schmidt und S. Corleone. Foto: Lenza Severin (FCZB)
S. Schmidt (Moderatorin) und S. Corleone (milaa gGmbH). Foto: Lenza Severin (FCZB)

Gleichzeitig betonten Sean Corleone, Martina Heger, André Hanschke (Team Asyl, Arbeitsagentur Süd) und Sarah Rüger (Projektleiterin Digital Empowerment) die oft schwierige Wohnsituation in Gemeinschaftsunterkünften. Lebt die ganze Familie über Jahre in einem einzigen Zimmer, ist an eigenständiges Lernen kaum zu denken. Zudem ist die vom LAF (Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten) vorgesehene Ausstattung mit einem Computer für 100 Bewohner*innen äußerst dürftig. In vielen Unterkünften fehlen außerdem Computer-Lernzeiten nur für Frauen.

Generell gebe es immer noch zu wenig Angebote für geflüchtete Frauen, so die Geschäftsführerin des FCZB, Dr. Karin Reichel. „Wir bräuchten mehr Zeit und mehr Geld, um die Frauen richtig fit zu machen“, benennt sie Bedarfe einer funktionierenden Empowerment-Arbeit. Eine Verstetigung der Strukturen sei nötig, um nachhaltig arbeiten zu können – und dafür eine verlässliche, auf Dauer angelegte Förderung.

Es besteht also Verbesserungspotenzial – doch „Deutschland“, so eine Teilnehmerin mit eigener Fluchterfahrung, „lernt sehr langsam“.

Um den Lernprozess fortzusetzen, plant das FCZB auch in Zukunft eine Plattform für gegenseitigen Austausch bereitzustellen.

[Der Text erscheint geringfügig verändert am 29.03.2019 auch im Newsletter Berlin International (04/2019)]