Für unser Jubiläumsjahr (40 Jahre FCZB!) hatten wir uns vorgenommen, das Thema Künstliche Intelligenz (KI) aus verschiedenen Perspektiven anzugehen, es gemeinsam im Team sowie im Austausch mit Expert*innen von außen zu beleuchten und praktisch mit KI-Anwendungen zu experimentieren.
Auch im Rahmen unserer Fach- und Festveranstaltung am 8.11.24 haben wir das Them KI fokussiert und mit unseren Gästen diskutiert. Digitaler Wandel mit KI und kritische feministische Perspektiven darauf waren der Fokus von zwei Podiumsgesprächen, der beiden Inspiration Talks von Mina Saidze und SOFF und auch beim Barcamp. In diesem Blogbeitrag fassen wir zentrale Punkte aus den beiden Podiumsdiskussionen zusammen. Auf der Kampagenseite gibt es Videomittschnitte der beiden Vorträge und Praxisinfos zu einem Code of Conduct KI im FCZB. Einige Gedanken aus den Diskussionen und Gesprächen während des Jubiläumsevents, die wir hier nicht angemessen wiedergeben können, werden wir in den nächsten Wochen und Monaten in unserem Blog und in den Social Media Kanälen aufgreifen und teilen.
Podiumsrunde v.li.n.re: Duscha Rosen (Moderation), Micha Klapp, Anja C. Wagner, Katrin Harnack, Elisa Marchese, Foto und Copyright: John Colton, Sabine Drwenzki
Digitaler Wandel in Berlin: Chancen und Herausforderungen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt
In der ersten Podiumsdiskussion ging es um die Frage, ob und wie sich der Digitale Wandel mit und durch KI bereits auf dem Berliner Arbeitsmarkt zeigt und was das für Frauen bedeutet: Wie verändern sich Jobprofile durch digitale Technologieentwicklungen? Wo sind neue Kompetenzen gefragt? Wie können anwesende Akteur*innen die digitale Teilhabe und Arbeitsmarktpartizipation von Frauen, vor allem mit Flucht- und Migrationsgeschichte, stärken?
Teilnehmende waren Micha Klapp, Staatsekretärin der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung, Katrin Harnack, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt und Migration der Agentur für Arbeit Berlin Mitte, Dr. Anja C. Wagner, FROLLEINFLOW GbR, Vordenkerin und Bildungspraktikerin New Learning und Elisa Marchese, FCZB-Geschäftsführungsteam und Projektleiterin Digital Empowerment for Refugee Women in Berlin.
Von Dr. Anja C. Wagner, FROLLEINFLOW GbR, und Katrin Harnack, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt und Migrationsbeauftragte, Agentur für Arbeit Berlin Mitte haben wir gehört: der digitale Wandel mit KI ist in Berlin noch nicht so richtig angekommen. Deutschland und Berlin sind generell hinterher bei der Digitalisierung, es fehlt an digitaler Infrastruktur und Services. Die Berliner Wirtschaft, geprägt von 100.000 kleinen und mittleren Unternehmen, steht noch am Anfang der KI-Integration – viele KMU könnten Beratung für die Transformation gebrauchen.
Fotos: John Colton, Sabine Drwenzki
Podiumsrunde v.li.n.re: Duscha Rosen (Moderation), Micha Klapp, Anja C. Wagner, Katrin Harnack, Foto und Copyright John Colton, Sabine Drwenzki
Und wo trifft der Wandel, wenn er kommt, dann besonders Frauen in Berlin?
Anja Wagner nannte hier zuerst den Einzelhandel, wo zahlreiche Jobs wegfallen werden und dann Bereiche mit großen Veränderungen und Notwendigkeiten zur Weiterbildung: Gesundheitssektor, Wissensarbeit, künstlerische und kulturelle Produktion – freiberufliche Journalistinnen, PR-Managerinnen, Grafikerinnen, Künstlerinnen u.a. spüren jetzt schon, dass ihre Dienste nicht mehr so stark nachgefragt sind. Sie müssen sich umstellen und ihr Kompetenzprofil erweitern, künftig co-kreativ auch mit KI arbeiten können. Zwei weitere Bereiche mit vielen weiblichen Beschäftigten, in denen eigentlich seit Jahren grundlegende Reformen anstehen, sind der Bildungssektor und natürlich Büro und Verwaltung.
Aber werden Frauen davon profitieren können und was müssen sie dafür mitbringen?
Auch wenn wir uns aktuell noch in einer Übergangsphase befinden, in der die Arbeitslosigkeit steigt – in Berlin selbst unter IT-Fachkräften – unsere Podiumsgäste waren sich einig, dass schon in wenigen Jahren massive Auswirkungen der KI-Transformation und ein deutlich gewachsener Bedarf an digitalen Kompetenzen zu spüren sein werden – von alltagsbezogenen digitalen Basiskompetenzen über Schnittstellen-Kompetenzen in allen Berufsfeldern bis zu spezialisierten IT- und KI-Fachkenntnissen. Hier gibt es eine große Aufgabe für die Weiterbildung von Frauen auf all diesen Ebenen.
Digitale Kompetenzaneignung von Frauen garantiert allerdings nicht dafür, dass Gleichstellung auf einem digital geprägten Arbeitsmarkt erreicht wird.
Micha Klapp, Staatsekretärin der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung, machte klar, dass wir uns hier auch weiterhin an der Beseitigung struktureller Gründe für Ungleichheiten bei der Berufswahl von Frauen und Männern und bei der ungleich verteilten Care-Arbeit engagieren müssen.
v.li.n.re: Anja C. Wagner, Katrin Harnack, Elisa Marchese, Foto und Copyright John Colton, Sabine Drwenzki
Auch die Berliner Wirtschaft muss sich wohl noch ein ganzes Stück bewegen, bevor nennenswert mehr digital fitte Frauen, insbesondere mit Flucht- und Migrationsgeschichte, eingestellt werden.
Der Arbeitsmarkt, so Katrin Harnack, ist im Bereich IT derzeit stark von Tätigkeiten geprägt, für die ein akademischer Abschluss in der Informatik und Wirtschaftsinformatik gefordert werden und die meisten Stellenausschreibungen verlangen perfekte Deutsch- und Englischkenntnisse: "Wir haben arbeitslose Frauen, die hochqualifiziert sind, aus anderen Ländern kommen, Englisch beherrschen, aber kein oder nur wenig Deutsch sprechen. Die Unternehmenslandschaft sieht noch nicht das Potenzial dieser Frauen. Dabei hätten sie enorme Chancen, wenn sie den Berufsanerkennungsprozess durchlaufen und Deutsch lernen." Das empfiehlt Katrin Harnack generell allen zugewanderten Frauen, um auf lange Sicht qualifikationsadäquate Beschäftigung zu erreichen. Der Job-Turbo, bei dem Frauen gleichzeitig arbeiten, Deutsch lernen und sich weiter qualifizieren können sollen, ist aus ihrer Sicht ein erster guter Schritt für geflüchtete Frauen, um im Arbeitsmarkt anzukommen.
Elisa Marchese, FCZB-Geschäftsführungsteam und Projektleiterin Digital Empowerment for Refugee Women in Berlin, wendet ein, dass insbesondere migrantische Frauen oft sehr um Weiterbildung kämpfen müssen. "Wenn der Job-first-Ansatz gilt, stellt sich die Frage, wie realistisch eine qualifikationsadäquate Beschäftigungsperspektive ist."
Micha Klapp ergänzt: "Der Job Turbo ist eine gute Möglichkeit für geflüchtete Frauen, einen Fuß in die Tür zu bekommen." Dennoch müsse sich auch die Bereitschaft der Unternehmen erhöhen, Weiterbildung von Frauen während der Beschäftigung zu unterstützen.
li: Elisa Marchese, re: Micha Klapp, Foto und Copyright John Colton, Sabine Drwenzki
Aber auch das Land Berlin muss sicherstellen, dass bedarfsorientierte digitale Weiterbildung für besonders stark vom Ausschluss bedrohte Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte zukünftig verstärkt wird.
Elisa Marchese erklärt: "Die Gruppe der geflüchteten Frauen ist sehr heterogen. In unseren Kursen haben wir Ingenieurinnen und funktionale Analphabetinnen. Alle haben das Interesse, ihre Computerkenntnisse zu verbessern oder überhaupt erst zu erwerben. Es ist wichtig, sich intensiv, individuell und flexibel auf die jeweilige Situation der Frau einzulassen: Was bringt sie mit, welche Qualifikationen liegen vor, was sind die Rahmenbedingungen? Es gibt eine große Lücke bei den digitalen Kompetenzen, die geschlossen werden muss, um Berufseinstiegswege zu ermöglichen, hier fehlt es an Finanzierung." Micha Klapp sagt dazu: "Die aktuelle Haushaltssituation des Bundes stellt uns vor Herausforderungen. Trotzdem arbeiten wir daran, Frauen für den digitalen Wandel zu qualifizieren und ihre ökonomische Unabhängigkeit zu fördern." Da nehmen wir sie beim Wort.
KI und feministische Bildung
Im zweiten Podiumsgespräch am späten Nachmittag ging es um das Thema KI und feministische Bildung und welchen Beitrag wir zu einem verantwortlichen Umgang mit KI leisten können.
Sibylle Würz, IT-Trainerin, Lernkonzeptentwicklerin und Projektleiterin im FCZB fächerte auf, in welchen Feldern es für Frauen, die sich auf neue KI-Kompetenzanforderungen im Alltag und Beruf vorbereiten, etwas zu lernen gibt: Hintergrundwissen, Anwendungswissen, kritisches Denken, ethisches Bewusstsein, Flexibilität und Offenheit. Um hier adäquate Lernangebote zu entwickeln, müssen wir aber erstmal selbst all dies wissen oder lernen. Noch mehr, um in unseren Weiterbildungen und in der Organisation einen lernenden Umgang mit KI zu gestalten, der mit unserem feministischen Selbstverständnis digitaler Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Verantwortung übereinstimmt, wollen wir verbindliche Richtlinien – einen Code of Conduct – für das Team entwickeln. Das geschieht parallel zu der Erarbeitung eines "Code of Conduct demokratische KI für zivilgesellschaftliche Organisationen" gemeinsam mit 30 anderen NGO. Was das im Einzelnen bedeutet, ist auf unserer Kampagnenseite, Thema 3 unten in dem Abschnitt "Einsatz von Künstlicher Intelligenz im FCZB" zusammengestellt.
li: Sibylle Würz, re: Ute Kalender, Foto und Copyright John Colton, Sabine Drwenzki
Im Bereich des Kampfes um Repräsentation geht es darum, mehr Diversität in der Arbeitswelt im Kontext von künstlicher Intelligenz (KI) zu schaffen. Es gibt z.B. Bemühungen, auch queere Menschen an der Entwicklung von KI zu beteiligen. Aber die bloße Präsenz queerer Menschen in der KI-Branche führt nicht automatisch zu besseren KI-Systemen.
Fehlerhafte Datensätze und deren diskriminierende Auswirkungen auf Geschlechterfragen (Gender Impact) sind ein anderes wichtiges Thema, das von KI-Forscherinnen wie Timnit Gebru (ehemals Google Ethics Team) untersucht und öffentlich diskutiert wurde.
Es gibt eine ganze Reihe erfolgreicher feministischer Interventionen, die darauf abzielen, bei Verstößen wie Verzerrungen, Diskriminierungen und anderen Gefahren durch Stereotypen auf Plattformen einzugreifen. Bei Fällen von digitaler Gewalt und toxischen Bildern werden Plattformen und Nutzer zunehmend in die Verantwortung genommen. Mögliche Maßnahmen umfassen die Androhung von Leaks an die Medien oder rechtliche Konsequenzen.
Die Debatte verschiebt sich aktuell in Richtung einer erweiterten Nachhaltigkeit, wobei Plattformen stärker in die Pflicht genommen werden. Themen wie Datenkolonialismus, Clickwork und ausbeuterische Arbeitsbedingungen bei der Datensäuberung rücken in den Fokus. Es gibt Strategien, diese Probleme systematisch juristisch anzugehen und einzuklagen, z.B. von der kenyanischen Anwältin und digital rights Aktivistin Mercy Mutemi.
All diese ermutigenden Beispiele stärken Anja Wagners eindringliches Plädoyer dafür, dass wir uns mit KI auseinandersetzen müssen: "Künstliche Intelligenz ist die aktuelle Basisinnovation, die unsere Volkswirtschaft grundlegend verändern wird – sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. Die Marktkräfte werden KI in alle gesellschaftlichen Bereiche reintreiben, keine Branche wird davon ausgenommen sein. Es wird nicht möglich sein, zu sagen: ‚Ich gehe dahin, wo ich keine Berührungspunkte damit habe'. Ja, KI ist eine autoritäre, machtvolle Technologie. Aber wir haben in meinen Augen keine andere Wahl, als sie mitzugestalten. Das ist die einzige Möglichkeit, die wir haben, um Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen und nicht nur passiv zuzusehen, wie sich diese Technologie in allen Lebensbereichen ausbreitet. Frauen müssen in die KI-Entwicklung einsteigen, um sie aktiv mitzugestalten."
Die Fach-Veranstaltung am 8.11.2024 anlässlich unseres 40. Geburtstags war Teil des Projektes DIGITALISIERUNGSBEGLEITUNG BERLINER FRAUENPROJEKTE, unterstützt von der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung, Abteilung Frauen und Gleichstellung