Bildungsmaterialien sind leider oft genug nicht frei zugänglich. Da gilt es Urheberrechte zu beachten, veraltete Materialien können nicht einfach aktualisiert werden, noch immer ist Unterricht frontal, zeitlich und räumlich gebunden. Open Educational Resources (OER) sind das genaue Gegenteil: Sie stehen allen offen und fördern damit Partizipation und Chancengerechtigkeit.
Was sind OER?
Freie Lehr- und Lernmaterialien werden weltweit erstellt, weiterentwickelt und eingesetzt.
OER bedeutet:
- freier Zugang zu Lernmitteln und die Möglichkeit, sie zu bearbeiten (Vision)
- Bereitstellung von didaktischen, nichtkommerziellen Ressourcen (Zweck)
- Verteilung über digitale Kanäle (Methode)
- divers zusammengesetzte Gruppen von Nutzer*innen (Zielgruppe)
Warum digital?
Natürlich kannst du OER auch für analoge Bildungsmaterialien nutzen. Doch digitale Werke haben viele Vorteile.
Sie sind:
- einfacher: schnell und verlustfrei kopieren
- multimedialer: Text, Bild, Audio, Video, Interaktion
- preiswerter und zugänglicher: technisch einfaches Equipment, leicht zu bedienen
- archivierbarer: zeitlich und räumlich unbegrenzt
- verknüpfbar und durchsuchbar: mit wenigen Klicks
Welt weit gibt es inzwischen mehr als 1,2 Milliarden OER-Werke. Deutschland liegt noch ziemlich weit zurück in der Nutzung und Erstellung. Ein Vorreiter ist Jöran Muuß-Merholz. Diplom-Pädagoge mit Schwerpunkt Lehren und Lernen im digitalen Wandel.
Was meint Open?
Open in OER bedeutet, dass das Werk idealerweise rechtlich, technisch, strukturell frei zugänglich und barrierefrei ist. Nicht offen sind danach: PDF, Apps, Kopierschutz, „alle Rechte vorbehalten“ (Standard), d.h. keine Nutzung über den persönlichen Gebrauch hinaus.
Barrierefrei sind Informationsmedien, die offen von allen Menschen genutzt werden können. In geliehene Schulbücher darf man nichts reinschreiben und man muss sie zurückgeben.
- Open Source: frei lizensierte Software, z.B. LibreOffice (Büroprogramm), Android (Betriebssystem), WordPress (Websites), Mozilla Firefox (Browser)
- Open Content: frei lizensierte Medienformen, z.B. Fotos, Musikstücke, Videos, Animationen etc.
- Open Data: offene Datenbanken, z.B. OpenStreetMap, Fahrplandaten, Wetterdaten, Forschungsdaten
- Open Access: wissenschaftliche Arbeiten mit freiem Zugang, z.B. akademische Publikationen
- Open everything: Open Science, Open Government, z.B. das Weltraumprojekt „OpenMoon“, „Open Source Saatgut“
Alle Rechte vorbehalten oder frei?
Ein Werk ist eine geistige, persönliche, kreative Schöpfung: Texte, Bilder, Grafiken, Illustrationen, Kompositionen, Alltagsfotografie, bestimmte Film- und Tonaufnahmen, künstlerische Darbietungen. Funfact: Eine Idee oder ein Konzept ist ebenso wenig eine geistige Schöpfung wie technische Erfindungen oder reine Datenbanken.
Nutzen darfst du schöpferische Werke von anderen nur sehr eingeschränkt und nicht über den persönlichen Gebrauch hinaus. Vor jeder Nutzung müssten auch Lehrkräfte die/den Urheber*in fragen, bevor sie ihr oder sein Werk im Unterricht einsetzen. Tun sie es nicht, könnten sie abgemahnt werden. Dabei bauen Lehrkräfte ja meist auf dem auf, was es schon gibt. Sie suchen sich Inhalte zusammen, mischen sie mit anderen Informationen, gestalten sie um, kopieren und setzen sie im Unterricht ein.
Freie Bildungsmaterialien werden lizensiert, d.h. die Schöpfer*innen legen einmalig und weltweit fest, wie ihre Werke genutzt werden können. Das am weitesten verbreitete Modell sind die lizensierten Nutzungsverträgen von Creative-Commons).
5 V-Freiheiten
Freie Lehr- und Lernmateralien bieten dir viele Vorteile. Du kannst sie
- verwahren /vervielfältigen: Du darfst den Inhalt behalten, speichern und kopieren
- verwenden: Du darfst das Material für beliebige Zwecke einsetzen
- verändern: Du darfst das Werk bearbeiten, kürzen, ergänzen, digitalisieren, ausdrucken, übersetzen
- vermischen / remixen: Du darfst die Materialien neu zusammenstellen
- verbreiten / teilen: Du darfst das Werk auch teilen, wenn ich das Material verändert hast
Was hast du davon?
Wenn du OER erstellen und nutzen willst, hast du einige Vorteile:
- Du gestaltest deine Bildungsmaterialien selbst
- Du kannst sie direkt und besser an deine Bedürfnisse bzw. die deiner Lernenden und den jeweiligen Kontext anpassen
- Du kannst sie legal und weltweit austauschen
- Mit deinen offenen Materialien und den genutzten Technologien trägst du viel bei zur digitalen Mündigkeit (Digital Literacy)
- Du kannst dir eine eigene Reputation aufbauen
- Du kannst das Feedback zu deinen Inhalte nutzen, um diese zu verbessern
- Du trägst bei zu mehr Teilhabe an Bildung, d.h. zur Bildungsgerechtigkeit.
Hürden
Doch leider gibt es keinen Fortschritt ohne Stolpersteine.
- Noch fehlen standardisierte Qualitätssicherungsverfahren von OER, d.h. es ist schwierig, die vorhandenen Materialien qualitativ einzuordnen und zu bewerten.
- Obwohl es mehr als 1,2 Milliarden OER Welt weit gibt, sind bisher nur wenige Werke in deutscher Sprache. Durch diese Sprachbarrieren werden viele Nutzer*innen ausgeschlossen.
- Viele Menschen kennen OER nicht und nutzen sie deswegen nicht. Dazu kommt, dass OER oft schwer auffindbar sind, denn es gibt keine zentrale Plattform. Auch Metadaten und Indexierung fehlen noch. Sprachliche und kulturelle Hürden durch Sprachbarrieren
- Zu diesen strukturellen Problemen kommen leider noch zu oft individuelle Sorgen: Oft fehlt die Bereitschaft, eigene Materialien zu teilen; viele Menschen haben Angst vor Kritik und/oder sie sorgen sich darum, die Kontrolle über ihre Werke zu verlieren.
Geteiltes Wissen ist doppeltes Wissen
Open Educational Resources sind trotz der genannten Einschränkungen ein gutes Mittel, um Lernen in digitalen Zeiten enorm voranzubringen.
OER steht für
- lebendige, interaktive, diverse und kollaborative Lern- und Lehrumgebungen
- selbstgesteuertes, binnendifferenziertes und adaptives Lehren und Lernen
- Partizipation und Chancengerechtigkeit
- kritisches Denken, Kreativität, gemeinsames Experimentieren
- zeitlich und örtlich unabhängiges Lehren und Lernen
- Mehr Bildungskompetenz im digitalen Kontext (didaktisch und technisch)
- Kultur des Teilens (gemeinsam Wissen schaffen und Wissen teilen)
„Ein modernes Verständnis von Lernen geht davon aus, dass Lernen sich als Prozess von Zusammenarbeit und Austausch mit anderen Lernenden und der Umwelt vollzieht“.
Jöran Muuß-Merholz, Diplompädagoge mit Schwerpunkt Lernen und Lehren im digitalen Wandel. OER-Experte.
Weiterführende Informationen
wb-web – das OER-Angebot für Lehrende der Erwachsenen- und Weiterbildung
OER-Kompaktwissen: 8 auf einen Streich: Broschüren rund um OER (PDF und Print)
Die 200 besten OER-Quellen (Stand: 2022)
Freie Unterrichtsmaterialien finden, rechtssicher einsetzen, selbst machen und teilen (Jöran Muuß-Merholz, Beltz-Verlag, 2018, ISBN 978-3-407-63061-2, auch als E-Book zum Download)