Westberlin, 1980er-Jahre. Eine bewegte Zeit, denn die Mauerstadt ist Zufluchtsort für Ambitionierte und Gestrandete, für Künstler*innen aus aller Welt. Häuser werden besetzt, Galerien eröffnet, Feminismus und Subkultur entwickeln sich. Auch der Arbeitsmarkt gerät in Bewegung, denn mehr und mehr halten Computer Einzug in Büros, Verwaltung und Betrieben, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Doch der Einsatz der neuen Technologien verunsichert viele Menschen, weil sie fürchten, dadurch am Arbeitsplatz ersetzt zu werden. Vor allem Frauen, die wegen der Familie auf den Job verzichtet haben, zweifeln daran, wieder in das Berufsleben einsteigen zu können. Das ist auch ein großes Thema in der neuen Frauenbewegung, zu der auch Renate Wielpütz gehört.
Die gebürtige Rheinländerin hat an der FU Politologie studiert und ist eine der ersten Studentinnen des Otto-Suhr-Instituts, die die Situation von Frauen in all ihren Prüfungen wissenschaftlich untersucht.
Renate Wielpütz ist damals Anfang 30 und engagiert sich schon länger für die Gleichstellung von Frauen – vor allem in der beruflichen Erwachsenenbildung und im Kontext der Arbeitsmarktpolitik. Deswegen gründet sie 1984 mit anderen Feministinnen das FrauenComputerZentrumBerlin e.V. (FCZB) – bundesweit die erste frauenspezifische Weiterbildungseinrichtungseinrichtung in Deutschland, die sich um Frauen und neue Technologien kümmert.
Von der Theorie zur Praxis
„Wir haben eine Fortbildung konzipiert, in der die Frauen sich mit den neuen Technologien auseinandersetzen – um sich am Ende für oder gegen die Arbeit am und mit dem Computer entscheiden zu können. Hoffnung und Ziel war es, Frauen die Möglichkeit zu geben, qualifizierter, und heute würden wir sagen „ökonomisch unabhängiger“ zu arbeiten.“
Dafür bekam der junge Verein große Zustimmung auch von Unternehmen – und wurde schon 1986 mit dem Ada-Lovelace-Preis für dieses Engagement ausgezeichnet. Damit erhöhte sich natürlich auch die allgemeine Aufmerksamkeit für das Thema „Frauen – Bildung – Technologien“. Das FCZB wird Vorreiterin für gleichstellungs- und bildungspolitische Angebote für Frauen.
Wissen und Lernen
Bildung wird im FCZB nicht als „Kompensation (Defizitansatz)“ verstanden, „sondern setzt an den konkreten gesellschaftlichen Erfahrungen der Frauen an und macht diese auch zum Ausgangspunkt des Lernens“.
Bis heute gehört es zur Philosophie des FCZB, auch informelles Lernen zu fördern. Das heißt, Kompetenzen erwirbt sich ein Mensch nicht nur über das Lernen nach Lehrplänen und mit Zertifikaten, sondern auch im Alltag, über Hobbies, in der Kindererziehung usw. Diese sog. informell oder non-formal erworbenen Kompetenzen werden auch als informelle Fähigkeiten bezeichnet. Häufig ist den Menschen gar nicht klar, was sie alles wissen und können.
„In den FCZB-Weiterbildungen geht es genau darum: Herauszufinden, was ich kann, mir bewusst machen, dass ich diese Fähigkeiten und Fertigkeiten habe. Überlegen, wie ich sie beruflich weiterentwickeln und einsetzen kann.“
Vor allem Frauen haben viele informelle Kompetenzen im außerberuflichen Bereich erworben, die aber im Job und auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind.
Europa von und für Frauen
Berlin, Mitte der 1990er-Jahre: Renate Wielpütz engagiert sich schon seit früher Jugend für ein lebendiges und gemeinsames Europa. Inzwischen ist sie nicht nur Geschäftsführerin des FCZB, sondern setzt sich auch auf nationaler und internationaler Ebene in für Gleichstellung ein.
„Eine bahnbrechende Erfahrung war der neue Gleichstellungsansatz, der durch sehr viel Druck der feministischen Bewegungen aus allen möglichen EU-Ländern in den 1990er-Jahren durch die EU-Kommission aufgenommen wurde“, blickt Renate Wielpütz zurück. „ Einerseits ging es darum, spezifische gleichstellungspolitische Aktionen aufrecht zu erhalten, , also Frauen oder Männer zu fördern, die mit Ungleichheiten und Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu kämpfen haben. Gleichzeitig ging es um Gender-Mainstreaming. Das bedeutete, sich erstmals gezielt und gleichstellungspolitisch legitimiert mit diskriminierenden und ungleichen Strukturen in Institutionen und Unternehmen auseinanderzusetzen. Auch das haben wir im FCZB sehr schnell aufgegriffen und umgesetzt.
Eine weitere wichtige Erfahrung war der sehr frühe Einstieg in die transnationale Arbeit. Dadurch haben wir ein Stück zum vereinigten Europa beigetragen. Gute Beispiele sind die Europäische Datenbank, mit der Frauen in Führungspositionen in allen europäischen Ländern sichtbar geworden sind, das frühe Engagement in EU-Gleichstellungs-Netzwerken oder die Möglichkeit für Frauen, über das FCZB ein Berufspraktikum im Ausland zu machen.“
Von der Graswurzelbewegung zur festen Institution
Früh haben die Macherinnen des FCZB erkannt, wie wichtig die eigene Organisations- und Personalentwicklung (OE/PE)ist. Das FCZB kommt, wie so viele andere Initiativen der 80er-Jahre aus der Graswurzelbewegung: basisdemokratisch, spontan, eine Spur chaotisch und immer knapp bei Kasse. Doch die Frauen setzen auf Strukturen: „Wann immer wir die finanziellen und personellen Möglichkeiten hatten, haben wir OE/PE eingesetzt, um uns FCZB-intern gut für neue Herausforderungen aufzustellen.“ Mit Erfolg: Dank der guten Planung kann das FCZB für eines der ersten Migrantinnen-Projekte Frauen mit Migrationshintergrund einstellen.
Apropos Einstellung: Rund 80 feste Arbeitsplätze hat das FCZB seit seiner Gründung geschaffen. Viele Mitarbeiterinnen arbeiten heute noch im FrauenComputerZentrumBerlin. Und auch ein anderer wichtiger Punkt werde gerne übersehen: „Wir haben seit unserer Gründung viele Millionen DM bzw. Euro aus dem Bund und der EU nach Berlin geholt, um Berlinerinnen zu unterstützen.“
Längst ist Renate Wielpütz eine international anerkannte und gefragte Expertin zur Gleichstellung der Geschlechter in der beruflichen Bildung, auf dem Arbeitsmarkt und in der Politik. Für ihr jahreslanges Engagement wird sie 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Goodbye FCZB, hello Engagement
Berlin, September 2017: Nach 33 Jahren ist für Renate Wielpütz die Zeit gekommen, Abschied zu nehmen – von einem Frauenprojekt, das immer „ihr Baby“ war. „Es ist doch großartig, dass das FCZB solange bestehen konnte, obwohl es immer wieder sowohl gleichstellungspolitische als auch arbeitsmarkt- und bildungspolitische Einbrüche gab. Eine Institution wie das FCZB ist ja auch abhängig von der Politik. Also von der Frage, ob und wie Gleichstellung und Frauenförderung politisch gewollt sind. Deutschland ist ein Land, das ohne die EU-Politik in der gleichstellungspolitischen Entwicklung noch viel weiter zurück wäre, als wir es derzeit sind – Stichworte: Pay Gap, prekäre Beschäftigung, Gender und Arbeit 4.0 etc. Es mangelt uns kaum noch an Gesetzen, es mangelt an der Umsetzung hin zu faktischer Gleichstellungspolitik.“
In Berlin, so die scheidende Geschäftsführerin, sehe es allerdings besser aus: „Auch wenn es kaum Regelförderung für Gleichstellungspolitik gibt, hat Berlin in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich mehr Kontinuität bewiesen als der Bund. Die Frauenprojekte-Infrastruktur in Berlin ist eine der besten in den Bundesländern. Was auch notwendig ist, wenn man sich die ökonomische Situation von Frauen in Berlin ansieht. Leider ist kaum bekannt, dass Berlin zum Beispiel in Bezug auf das Gender Budgeting als Stadt und Bundesland führend ist.“
Auch wenn Renate Wielpütz das FCZB verlässt – der politischen Arbeit wird sie treu bleiben: „Es bleibt mein Ziel, politisch dafür zu sorgen, dass Frauen und Männer in ihrer Vielfalt, die von Exklusion, Ungleichheit, Diskriminierung betroffen sind, weiterhin Unterstützung erhalten in Richtung eigenständigen Lebens und ökonomischer Unabhängigkeit. Das ist sicher etwas, woran ich festhalten werde. Wir können und müssen uns einmischen, vor allem zugunsten von Frauen, die das nicht können oder nicht dürfen. Ich werde mich auf jeden Fall weiterhin gleichstellungpolitisch engagieren.“