Digital Gender Gap und Corona: Die Krise bringt Ungleichheiten ans Licht

Die COVID-19-Pandemie betrifft uns alle. Doch wie groß die Auswirkungen auf jeden einzelnen Menschen sind, hängt von vielen Faktoren ab. Warum es an uns allen liegt, die digitale Spaltung der Gesellschaft, also den Digital Gender Gap, zu minimieren, beschreibt Dr. Karin Reichel, Geschäftsführerin des FCZB.

Digital Gender Gap und Corona: Die Krise bringt Ungleichheiten ans Licht. Foto: Martin Sanchez/Unsplash.com
Foto: Martin Sanchez/Unsplash.com

In den Diskussionen um die Digitalisierung unserer Gesellschaft wird insbesondere von Politiker*innen und Firmenvertreter*innen der IT-Branche gerne betont, dass keine*r zurückgelassen werden soll. Die COVID19-Pandemie mit Lockdown zwingt unsere Gesellschaft zurzeit in fast allen Bereichen, die Digitalisierung voranzutreiben.

Die meisten Unternehmen und Einrichtungen sind geschlossen, viele Menschen arbeiten im Homeoffice, und auch private Verabredungen sind wegen der Ausgangsbeschränkung oft nur noch digital möglich.

Doch jetzt zeigt sich, dass Menschen je nach Alter, körperlicher Verfassung, sozialem Status und Geschlecht von den Auswirkungen der wegen COVID-19 erlassenen Auflagen unterschiedlich betroffen sind.

Auch bezüglich des Digital Gender Gaps bringt die sogenannte Corona-Krise einige unbequeme Wahrheiten an das Licht: Wir sehen in unserem Arbeitsbereich, der Erwachsenenbildung, dass insbesondere Frauen in prekären Lebenslagen von der Pandemie anders und nachhaltiger eingeschränkt sind.

Hochbezahlte Wissensarbeiter*innen, die geschützt in ihrem gut ausgestatteten Homeoffice tätig sein dürfen, können diese Situation vielleicht sogar als Entschleunigung erleben. Viele unserer Teilnehmerinnen sind dagegen mit zahlreichen Problemen konfrontiert, die die Teilnahme an unseren Online-Schulungen (und auch an anderen digitalen Angeboten) erschweren oder gar unmöglich machen.

Zwischen Techniksupport und emotionaler Unterstützung

Digital Gender Gap und Corona: Die Krise bringt Ungleichheiten ans Licht. Foto: Green Chameleon/Unsplash.com
Foto: Green Chameleon/Unsplash.com

Auch wir im FCZB mussten aufgrund der Verordnungen des Berliner Senats unsere Präsenzfortbildungen und Beratungen einstellen.

Wir konnten zwar unsere Angebote u.a. mit Hilfe unserer Lernplattform und anderen Tools aufrechterhalten, aber die digitalen Angebote können nicht alle Teilnehmerinnen problemlos nutzen.

Erstens benötigen sie die entsprechende technische Ausstattung in ihrem Haushalt, um darauf zugreifen zu können.

Im Idealfall sind das ein leistungsfähiger PC/Laptop mit Mikrofon und Kamera sowie die passende Software für die Weiterbildung und last but not least ein störungsfreier Internetanschluss – das können sich Menschen mit niedrigem Einkommen häufig nicht leisten.

Zweitens müssen die Frauen bereits genug digitale Kompetenzen erworben haben, um damit auch umgehen zu können – das ist insbesondere für Anfängerinnen nicht leicht.

Drittens brauchen sie Ruhe und einen freien Kopf, um die Lernaufgaben bewältigen zu können. Angesichts privater Verpflichtungen, z.T. beengter Wohnverhältnisse und insbesondere durch die Schul- und Kitaschließungen vor allem für Frauen mit (kleineren) Kindern eine große Herausforderung.

Angesichts solcher Hürden muss von beiden Seiten viel Motivation bzw. Geduld aufgebracht werden sowie viel Durchhaltewillen vorhanden sein, um diese Probleme gemeinsam zu überwinden und kreative Lösungen zu finden, um auch im Bildungsbereich „keine zurückzulassen“.

Wir tun alles, was in unseren Kräften steht: Wir verleihen beispielsweise Laptops an unsere Teilnehmerinnen, können aber keinen Internetanschluss bereitstellen. Wir verschicken Lernaufgaben auch auf das Smartphone (notfalls auch per Post), können aber kein zusätzliches Datenvolumen mitschicken.

Wir stehen bei Fragen und Problemen auch telefonisch zur Verfügung, aber auch unsere Arbeitszeit ist limitiert. Wir stellen auf unserer Lernplattform Aufgaben für verschiedene Qualifikationsniveaus bereit, die Tag und Nacht abrufbar sind. Aber wir können keine Räume öffnen in denen in Ruhe gelernt werden kann.

Wir haben in unseren digitalen Chaträumen auch ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Teilnehmerinnen, die das Lernen beeinträchtigen, können über die digitalen Kanäle aber nicht dieselbe solidarische Lernatmosphäre bieten, die bei unseren Präsenzveranstaltungen die Regel ist.

Einschränkungen, Lockerungen und Digitalisierung

Digital Gender Gap und Corona: Die Krise bringt Ungleichheiten ans Licht. Foto: FCZB
Foto: FCZB

In der Stellungnahme Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden hat die Leopoldina ( Nationale Akademie der Wissenschaften ) im April dazu geraten, den Bildungsbereich schrittweise zu öffnen.

Nach Meinung der Expert*innen soll das so bald wie möglich erfolgen, da die Einschränkungen zu einem massiven Rückgang der Betreuungs-, Lehr- und Lernleistungen sowie zur Verschärfung sozialer Ungleichheit geführt haben – sowohl in allgemeinbildenden Schulen als auch in der Erwachsenenbildung.

Für den ganzen Bildungsbereich und darüber hinaus gilt, dass die Digitalisierung diejenigen stärkt, die daran partizipieren können.

Für viele Menschen, die keinen Zugang haben oder mit schlechten Zugangsmöglichkeiten zum Internet konfrontiert sind, birgt Digitalisierung die Gefahr, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten weiter verschärft werden.

Daher werden wir weiter daran arbeiten, die multiplen digitalen Spaltungen der Gesellschaft zu minimieren, damit am Ende wirklich alle mitgenommen werden und von der Digitalisierung profitieren können.

Es bedarf allerdings weiterer Anstrengungen von Seiten der ganzen Gesellschaft, den Digital Gender Gap zu schließen, da die fehlenden digitalen Kompetenzen, an denen wir arbeiten, wie eben beschrieben, nur ein Teil des Problems sind.