Offener Brief: Außerordentlich fragwürdige Kündigung – Heute Frieda, morgen wir?

Offener Brief an das  Bezirksamt und die BVV Friedrichshain-Kreuzberg

Sehr geehrte Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann,
sehr geehrter Jugendstadtrat Max Kindler,
sehr geehrte Mitglieder des Jugendhilfe-Ausschusses der BVV Friedrichshain-Kreuzberg,
sehr geehrte Bezirksverordnete des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg der demokratischen Fraktionen,

Mit diesem offenen Brief wenden sich diverse Träger des Friedrichshain-Kreuzberger Frauenprojekteplenums an Sie, zur Sache der fristlosen Kündigung des Leistungsvertrages mit dem Träger Frieda Frauen*zentrum e.V. durch das Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg am 17.4.2024.

Respekt und Vertrauen auf einen rechtskonformen und fairen behördlichen Umgang mit uns Trägern sind essentiell für unsere Zusammenarbeit und für das Funktionieren der Demokratie insgesamt. Dieses Vertrauen wurde durch die rechtlich fragwürdige und intransparente Entscheidung von Jugendstadtrat Max Kindler massiv erschüttert.

Wir fordern Sie auf, die Kündigung des Leistungsvertrages mit dem Träger Frieda Frauen*zentrum zum Betrieb der beiden Jugend-/Mädchenzentren Phantalisa und ALIA zurückzunehmen, die Schließung der Zentren rückgängig zu machen, das intransparente und fragwürdige Kündigungsvorgehen des Jugendamtes aufzuklären und einen fairen und rechtskonformen Weg zu Klärung der Vorwürfe an die Leitung und Beilegung des Konfliktes einzuschlagen.

Erstunterzeichner*innen aus dem Friedrichshain-Kreuzberger Frauenprojekteplenum

FrauenComputerZentrumBerlin e.V. (FCZB)

Frauenzentrum Schokofabrik

ADEFRA roots

Frau und Beruf e.V.

Box66 Interkulturelles Beratungs- und Begegnungszentrum für Frauen und Familien in Friedrichshain

TIO e.V. – Treff- und Informationsort für Migrantinnen

BIWOC* Rising

Formatwechsel-Medienwerkstatt für Frauen und Mädchen e.V.

Türkischer Frauenverein Berlin e. V.

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Hier ist der Offene Brief in voller Länge zu lesen:

Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg kündigt Vertrag mit Frieda-Frauen*zentrum und schließt Mädchenzentren ad hoc – Rechtsstaat und fairer Umgang mit geförderten Trägern gehen anders

Das Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg unter Leitung von Jugendstadtrat Max Kindler (CDU) hat am 19.4.24 ohne Anhörung der Betroffenen den Leistungsvertrag mit dem Frieda-Frauen*zentrum e.V. zum Betrieb der Jugendfreizeiteinrichtungen Phantalisa -Raum für Mädchen und junge Frauen in Friedrichshain und ALIA-Zentrum für Mädchen und junge Frauen in Kreuzberg ad hoc gekündigt und die beiden Zentren mit sofortiger Wirkung geschlossen.

Wir sind schockiert und wütend.

Ungeachtet der inhaltlichen Vorwürfe des Jugendstadtrates Max Kindler gegenüber geschäftsführenden Personen von Frieda e.V. kritisieren wir scharf das fragwürdig begründete und rechtsstaatlich zweifelhafte Vorgehen des Jugendamtes bei der Kündigung.

Wie Frieda e.V. sind wir zivilgesellschaftliche Träger mit feministisch intersektionaler Zielsetzung, die in Kreuzberg öffentlich geförderte Projekte zum Abbau von Diskriminierung und für Geschlechtergerechtigkeit umsetzen. Wir sind Teil einer historisch gewachsenen und erkämpften Frauenprojektelandschaft, die für tausende Nutzer*innen Schutz-, Beratungs-, Empowerment- und Bildungsräume bereitstellt. Arbeit, die im öffentlichen Interesse liegt und die von öffentlichen Stellen (wenn auch weitgehend unzureichend) finanziert wird, weil der Staat diese Aufgaben gar nicht oder nicht zufriedenstellend erledigen kann.

Respekt und Vertrauen auf einen rechtskonformen und fairen behördlichen Umgang mit uns Trägern sind essentiell für unsere Zusammenarbeit und für das Funktionieren der Demokratie insgesamt. Dieses Vertrauen wurde durch die rechtlich fragwürdige und intransparente Entscheidung von Jugendstadtrat Max Kindler massiv erschüttert. Keinesfalls darf dieses Handeln Schule machen!

In der kurzen Pressemitteilung des Bezirksamts vom 17.4.24 werden keine Gründe für die fristlose Kündigung der beiden queerfeministischen Projekte im Bezirk genannt, die sich v.a. an migrantische Mädchen und junge Frauen richten. In dem von Frieda im Internet zugänglich gemachten dreiseitigen bezirklichen Kündigungsschreiben an den Träger begründet der Stadtrat die Schließung der Jugendzentren mit unbelegten Behauptungen zu angeblich strafrechtlichem Verhalten der Geschäftsführerinnen – der Teilnahme an einer Demonstration und einer Veranstaltung sowie die Veröffentlichung von Posts auf privaten Instagram-Accounts.

Es ist unklar, auf welcher Rechtsgrundlage die im Kündigungsschreiben aufgestellten Behauptungen ermittelt wurden, die in den rechten Medien Focus und BZ angeführt werden, auf die sich der Stadtrat als Kündigungsgrund bezieht.

Außerdem stellt Frieda zu Recht fest, „es steht einem Rechtsstaat ebenso wie der auf das Gesetz verpflichteten Verwaltung zu Gebote, seine Entscheidungen auf der Grundlage fairer Verfahren zu treffen, in denen die Betroffenen angehört werden. Hier jedoch wurde ad hoc aufgrund von unbelegten Behauptungen und fragwürdigen Überwachungsmethoden gehandelt.“ (Stellungnahme Frieda)

Weder wurden die Mitarbeiterinnen von Frieda zu den Vorwürfen vorab angehört noch wurde, wie erforderlich, der bezirkliche Jugendhilfeausschuss in den Vorgang einbezogen. Entsprechend hagelt es mittlerweile auch von den Fraktionen von Bündnis 90 die Grünen, der Linken und der SPD im Bezirk Kritik und es wird nach einer Erklärung für das Verhalten des Jugendamtes verlangt.

Dieser Forderung nach Aufklärung, die auch der Berliner Migrationsrat erhebt, schließen wir uns an.
Wir verlangen außerdem die sofortige Rücknahme der Kündigung.  Stattdessen muss ein faires bezirkliches Vorgehen eingeleitet werden zur Aufklärung der Vorwürfe, unter Anhörung der beschuldigten Leitungspersonen von Frieda und anderen Projektmitarbeitenden.

Die Schließung der beiden Jugendzentren Phantalisa und ALIA ist sofort zurückzunehmen.
Sie ist eine inakzeptable Beschneidung der zu schützenden Infrastruktur bezirklicher Frauen- und Mädchenprojekte und spezifischer Angebote für migrantische und queere Mädchen und Jugendliche. Diese bezahlen jetzt den Preis dafür, dass das Jugendamt, unsachgemäß und rechtlich fragwürdig automatisch aus außerdienstlichem Verhalten der Leiterinnen des Trägervereins Frieda e.V. folgert, dass die Jugendzentren (mit anderen Mitarbeitenden) nicht mehr gemäß der mit dem Bezirk vereinbarten Ziele arbeiten und deshalb geschlossen werden müssen.

So ein willkürlich anmutendes Behördenhandeln ist dazu geeignet, die feministische Zivilgesellschaft zu verunsichern und einzuschüchtern, wenn diese angesichts massiver antidemokratischer und patriarchaler Bewegungen dringend gebraucht wird. Es dient kaum den vom Jugendamt in der Kündigung zitierten primären Zielen der Kinder- und Jugendarbeit: „Demokratiebildung und Abbau menschenverachtender Einstellungen junger Menschen“.

Die fragwürdige rechtliche Basis der Schließung und Kündigung der Sozialarbeitenden in den Projekten will Frieda zu Recht vor Gericht anfechten.

Wir fordern das Bezirksamt und die BVV auf, es nicht so weit kommen zu lassen, die Kündigung und Schließung der Jugendzentren zurückzunehmen, eine detaillierte Aufklärung des Vorgangs einzuleiten und die Öffentlichkeit darüber zeitnah zu informieren.

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Informationsnachtrag 7.5.2024

Informationen zu  Hintergrundinformationen zu früheren Konflikten zwischen dem Träger und dem Bezirksamt sowie zum weiteren Geschehen im Umgang mit der Kündigung finden sich z.B. in diesem Artikel des Neuen Deutschland vom 2.5.2024  oder in der taz vom 3.5.24. Nach einer zum Teil nicht-öffentlichen Sitzung des Jugendhilfe-Ausschuss am 26.4.24, gab es am 2.5. eine öffentliche Sitzung des Jugendhilfe-Ausschusses der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, auf dessen Ergebnisse wir gespannt sein dürfen.

Heute, am 7.5.2024 um 17.00 Uhr, gibt es vor dem Rathaus  Kreuzberg eine Kundgebung zur Rücknahme der Kündigung u.a., anlässlich der Sitzung des Jugendhilfeausschuss  um 18 Uhr.
Untersdtützungsaufruf und Stellungnahme des Solidarity Network Frieda  auf Instagram